04.11.25 | Psychiatrie Wer bestimmt, was Hilfe ist? Macht und Ohnmacht in der Psychiatrie
Fachleute diskutierten Chancen multiprofessioneller Teams am 10. Ethiktag der LWL-Klinik Lengerich / Ethik-Komitee besteht seit 15 Jahren
Die Vorsitzenden des Ethik-Komitees und die Referierenden gestalteten den 10. Ethiktag in der LWL-Klinik Lengerich.
Foto: LWL/Simone Böhnisch
Die Vorsitzenden des Ethik-Komitees der LWL-Klinik Lengerich, Regine Groß, Stephan Bögershausen und Dr. Jörg Wittenhaus, begrüßten die Gäste und blickten auf die Anfänge der klinischen Ethikarbeit und die Entwicklungen der vergangenen 15 Jahre zurück. Ziel der Ethikarbeit sei von vornherein gewesen, so Dr. Jörg Wittenhaus, eine "Werteküche" anzubieten, in der "Rezepte" für ethische Fragen erstellt und ausprobiert werden dürften, um das "Gericht" abzurunden. Diese "Küche" sollte stets offene Türen haben. Im Laufe der Jahre habe Ethikberater Stefan Kliesch, der auch beim Ethik-Tag dabei war, zahlreiche Moderator:innen ausgebildet, die nun bei Bedarf Ethikberatungen vor Ort in den Teams und auf den Stationen durchführen.
Der Leiter der Medizin und Pflege im Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg, Martin Holzke, berichtete in einer eindrucksvollen Einführung von seinen Recherchen zu Macht, Ohnmacht und Verantwortung im psychiatrischen Alltag und teilte seine Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Patient:innen. Er erzählte, wie sich seine große psychiatrische Klinik derzeit mit ihren therapeutischen Angeboten stärker in die Lebenswelten der Nutzer:innen begibt. Schließlich fasste er das Thema des Ethiktages prägnant zusammen: "Ohnmacht ist nicht das Gegenteil von Macht, sondern ihr Schatten. Unsere Verantwortung ist es, Sprache zu nutzen, um Vertrauen und Beziehung zu schaffen."
Dr. Jacqueline Rixe, Leiterin des Referats Evidenzbasierte Pflegepraxis im Ev. Klinikum Bethel und Vizepräsidentin der Deutschen Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege (DFPP), erforschte im Rahmen ihrer Dissertation psychiatrische Behandlungsvereinbarungen. Sie schilderte, wie sehr die Beziehung zwischen Betroffenen und Behandler:innen davon profitiere, wenn Situationen nachbesprochen und Behandlungserfahrungen und -wünsche nach einer Krise reflektiert und schriftlich festgehalten würden.
Dr. Christin Hempeler, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin der Ruhr-Universität Bochum, warf einen Blick auf Angehörige, die im häuslichen Umfeld bei ihren erkrankten Angehörigen ebenfalls informellen Zwang ausüben könnten, sei es aus der Not und aus Fürsorge heraus. Auch in dieser Beziehung könne es Macht und Ohnmacht auf beiden Seiten geben, ebenso wie professionell Helfende in ihrer Arbeit in einigen Fällen informellen oder formellen Zwang ausüben würden.
Bewegend war der trialogische Blick von Gudrun Tönnes, LebensArt Weiterbildungs gGmbH Münster. Sie berichtete über ihre persönliche Erfahrung mit eigener Ohnmacht und Verletztheit und von ihrer schrittweisen Selbstermächtigung. Bei der Selbsterfahrung und -erkenntnis haben der gelernten Buchbinderin, Ergotherapeutin, Bildhauerin und Theaterpädagogin künstlerische Arbeiten sehr geholfen.
Es gab auch eine moderierte ethische Fallbesprechung anhand des Lengericher Modells (LeMo). Stefan Kliesch und Regine Groß moderierten den Fall einer tagesklinischen Patientin, den Teilnehmende während der Veranstaltung eingebracht hatten. Diese Art der Fallbesprechung nutzt auch Elemente des Reflecting Teams und bezieht unterschiedliche Perspektiven ein. Mit Hilfe einer ethischen Abwägung wurden die Anfragenden dabei unterstützt, einen Konsens für eine Handlungsempfehlung zu finden.
Nach sehr positiver Resonanz der Teilnehmenden soll das erfolgreiche Tagungsformat des Ethiktags in Lengerich weiter fortgesetzt werden.
Hintergrund Ethik-Komitee
Das Ethik-Komitee ist ein Beratungsgremium der LWL-Klinik Lengerich, das sich aus Personen verschiedener Berufs- und Arbeitsbereiche sowie je einem Patienten- und Angehörigenvertreter zusammensetzt. Diese treffen sich mindestens fünfmal im Jahr. Das Komitee bespricht ethische Fragestellungen und erstellt ethische Orientierungshilfen, beispielsweise zum Umgang mit Zwangsbehandlungen und dem mutmaßlichen Willen, zur verständlichen Kommunikation oder zu Betreuungsfragen.
Die Vorsitzenden des Ethik-Komitees und die Referierenden gestalteten den 10. Ethiktag in der LWL-Klinik Lengerich.
Foto: LWL/Simone Böhnisch
Pressekontakt
Simone Böhnisch, LWL-Klinik Lengerich, Parkallee 10, 49525 Lengerich, Tel.: 05481 12 1011, kommunikation-le@lwl.org,
Der LWL im Überblick
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit mehr als 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 20 Krankenhäuser, 18 Museen, zwei Besucherzentren und ist einer der größten Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
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